Was ist ein wissenschaftlicher Beweis? Welche Anforderungen werden an den wissenschaftlichen Beweis gestellt? Wann ist eine Aussage oder eine Theorie wissenschaftlich bewiesen?
Der Wissenschaftliche Beweis
Beweise gibt es in der Mathematik und in der Logik. Dies sind geschlossene Systeme, welche ohne die Komplikationen der Wirklichkeit existieren, und innerhalb ihrer Systeme daher eine strenge Beweisführung ermöglichen. Auf eigenartige Weise gibt es auch den Begriff des Beweises in den Rechtswissenschaften.
Den Naturwissenschaften ist der Beweis nicht möglich. Wissenschaftlich wird stattdessen das Konzept der besten verfügbaren Erklärung genutzt. Es gibt Belege, aber keine Beweise.
Naturwissenschaft, also Wissenschaft die sich mit Vorgängen in der Natur beschäftigt, unterliegt leider der vollständigen Komplexität der Natur, der Realität, der wirklichen Welt, mit allen ihren Überlagerungen, Wechselwirkungen, Veränderungen, Sonderfällen und Ausnahmen. Alles, was der Naturwissenschaftler beobachtet, ist das Ergebnis sämtlicher natürlicher Faktoren und Einflüsse gleichzeitig. Möchte der Wissenschaftler also nur ein kleines Element der natürlichen Welt untersuchen, besteht die besondere Herausforderung darin, zu unterscheiden, welche der verschiedenen wirklichen Umweltbedingungen nun für das Beobachtete verantwortlich sind. Hierzu muss er möglichst viele Einflüsse ausschließen, die er nicht untersuchen möchte. Da niemals sicher ist, dass alle anderen Einflüsse ausgeschlossen sind, kann kein sicherer Beweis erzielt werden.
Da haben es Mathematiker und Logiker einfacher.
Man kann das Wort “Beweis” als Problem der Nomenklatur auffassen, als Schwierigkeit bestimmte Sachverhalte in unterschiedlichen Fachbereichen mit einem begrenzten, geteilten Wortschatz zu benennen.
Die häufigsten Prinzipien der wissenschaftlichen Methode sind Induktion und Deduktion. Bei der Induktion wird von beobachteten Phänomenen auf eine Regel geschlossen. Wahrnehmare Anzeichen, auch Indizien genannt, deuten auf die Regel hin. Die umgekehrte Methode ist die Deduktion. Bei der Deduktion wird eine Regel formuliert, und in verschiedenen Situationen auf Richtigkeit geprüft. Es gibt noch weitere Methoden, eine Regel, oder “Hypothese”, oder “Theorie”, zu formulieren. Die Regeln werden mit Belegen untermauert. Belege gewinnen an Bedeutung, wenn sie empirisch überprüfbar und wiederholbar sind.
Wenn die Beobachtungen der Regel widersprechen, wird die Regel verworfen. Wenn es mehrere alternative Regeln gibt, wird diejenige Regel gewählt, die am besten zu den Beobachtungen passt. Diese Regel entspricht der besten verfügbaren Erklärung, und stellt dann den “Stand der Wissenschaft” dar.
Wenn morgen neue, bessere Belege gefunden werden, welche eine andere Regel unterstützen, ändert sich der Stand der Wissenschaft. Mit Fortschreiten der Wissenschaft zu einem Thema werden Erkenntnise mehr und mehr gesichert. Dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass eine bessere Erklärung gefunden wird. Aber auch bei den am meisten gesicherten Erkenntnissen spricht man nicht von einem Beweis.
Beispiele:
- Evolutionstheorie. Die Evolutionstheorie ist nicht bewiesen, sondern sie ist die beste verfügbare Erklärung für unsere Beobachtungen. Es ist unwahrscheinlich, dass eine bessere Erklärung gefunden wird, denn die Belege sind reichhaltig und hochwertig.
- Die Sonne ist in der Vergangenheit jeden Tag aufgegangen. Hypothese: Die Sonne wird auch morgen wieder aufgehen (Induktion). Es ist aber nicht bewiesen. Es könnte ein gewaltiger Meteorit die Erde in Stücke reißen. In diesem Fall geht die Sonne für uns nicht wieder auf. Die Abwesenheit dieses Himmelskörpers ist nicht beweisbar. Dadurch ist auch nicht beweisbar, dass die Sonne morgen wieder aufgehen wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sonne morgen wieder aufgeht, ist jedoch außerordentlich hoch.
- Allgemein: Jede Aussage über die Zukunft ist gegenwärtig unbeweisbar. Da der Zustand noch nicht eingetreten ist, kann nicht geprüft werden ob die Aussage über die Zukunft zugetroffen haben wird oder nicht. Bestenfalls sind Vorhersagen möglich, die auf Theorien beruhen. Diese können äußerst präzise sein und mit überwältigender Wahrscheinlichkeit eintreten, dennoch handelt es sich nicht um bewiesene oder beweisebare Aussagen.
- Rauchen verursacht Krebs. Krebs hat viele mögliche Ursachen. Ein Zusammenhang kann empirisch hergestellt werden. Es handelt sich nicht um einen Beweis, sondern um erdrückende Belege, die für einen direkten Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs sprechen. Die verfügbaren Belege können keiner besseren Erklärung zugeordnet werden. Dass es sich nicht um einen Beweis handelt, hat z.B. die Lobby der Tabakindustrie genutzt, um staatliche Regulierung zu verhindern.
Ein Indiz für einen ausgeprägten Stand der Wissenschaft, in welchem hochwertige Belege gefunden wurden, welche eine spezifische Regel untermauern, ist der wissenschaftliche Konsens. Das bedeutet, dass Wissenschaftler, die innerhalb des Fachgebietes Forschung betreiben, sich zunehmend einig sind, welche These die beste Erklärung für das Beobachtete darstellt. Auch in solchen Fällen gibt es fast immer einzelne Wissenschaftler, die eine andere Auffassung vertreten. Dies ist ein natürlicher und erwünschter Bestandteil des wissenschaftlichen Arbeitens. Der Stand der Wissenschaft bleibt jedoch die Regel, welche die verfügbaren Belege am besten erklärt, und das ist in den meisten Fällen die Regel, über die ein wissenschaftlicher Konsens besteht. Der wissenschaftliche Beweis bleibt jedoch unmöglich.
Populisten machen sich den Begriff des angeblich fehlenden Beweises gern zunutze, um in der Öffentlichkeit das Gefühl zu erzeugen, eine wissenschaftliche These sei unzureichend erforscht oder belegt, auch dann wenn das Gegenteil der Fall ist, z.B. wenn ein deutlicher wissenschaftlicher Konsens und solide Belege vorliegen.
Warum spricht man nicht einfach von einem wissenschaftlichen Beweis? Das würde es doch den Laien einfacher machen, zu verstehen dass bestimmte Zusammenhänge sehr gut erforscht sind. Der Grund ist in der Demut des erfahrenen Wissenschaftlers zu finden. Wissenschaftshistoriker kennen zahlreiche Beispiele für belegte Thesen, die zu späterer Zeit widerlegt wurden. Zu ihrer Zeit war es der Stand der Wissenschaft. Heute ist er es nicht mehr. Der Begriff “Beweis” würde ad absurdum geführt, wenn man ihn für etwas verwenden würde, was – auch mit einer als gering wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit – in Zukunft widerlegt werden könnte. Es wird also schwierig bleiben für einen Laien, ein Gefühl für die Sicherheit des Standes der Wissenschaft zu bekommen.
Dank an Herbert Huber für die kompetente Einordnung des Beweisbegriffes.